„Wie klingt die Zukunft?“
Mit der Aufgabe, das Sounddesign eines post-apokalyptischen Hero-Shooters im Jahr 2099 zu erstellen, musste unser Audio-Team sich indirekt mit dieser Frage auseinandersetzen. Der Soundtrack von Steel Hunters musste futuristisch sein und gleichzeitig die dystopische Welt widerspiegeln. „Neue Sounds“ mussten für Material und Waffen erstellt werden, die es (noch) nicht gab.
Aber das, was für uns futuristisch klingt, hat oft mit der Zeit zu tun, in der wir gerade leben.
Im Jahr 1919 verblüfften die Komponisten Hauer und Schoenberg die Welt mit ihrem dodekaphonischen Ansatz zur Musik. Einfacher ausgedrückt: Sie haben entschieden, dass alle Noten gleich sind, und komponierten ausgesprochen schwierige Stücke ohne melodischen Zusammenhang, dafür kräftigem Tempo, technischen Schwerpunkten und sehr schräg klingenden Spitzen. Klassische Instrumente klangen mechanisch, fast schon wie Roboter. Emotionen wurden ausgeschlossen.
Doch unsere Komponisten und Tontechniker haben einen anderen Ansatz gewählt: Minimalismus. Das ist ein Stil, der durch Filme wie „Tenet“ bekannter wurde – hier machen wiederholende Klänge und Rhythmen die Musik. Durch Unterschiede der Intensität und des Timings dieser Klänge, oder durch Veränderungen im Mikro-Rhythmus, konzentrieren wir uns genauer auf die Musik. Es ist erwiesen, dass minimalistische Musik in der Lage ist, uns emotional zu berühren. Ein weiterer, entscheidender Faktor sind die Sounds und Frequenzen, die verwendet werden, die nur selten mit klassischen Instrumenten erstellt werden. Sie fühlen sich „neu“ an.
Wenn ihr jetzt denkt, dass unser Sound-Team losgezogen ist und sich durch Luftschächte gezwungen hat, um verschiedene neue Sounds aufzunehmen, liegt ihr vollkommen richtig. Genauso haben wir das gemacht. Ein bisschen verrückt sein hilft der Kreativität. Aber wir haben uns nicht nur auf ungewöhnliche Vorgehensweisen verlassen – wir haben klassisch ausgebildete Musiker und verschiedene Instrumente und Synthesizer, die wir verwenden können, und eine eiserne Experimentierfreudigkeit. Das Ergebnis ist eine Mischung aus antik und modern. In Steel Hunters findet ihr Instrumente wie die Maultrommel neben den Synthesizern LYRA-8 und PULSAR-23. Diese Synthesizer sind die wichtigsten Bestandteile unseres Prozesses: Der LYRA-8 kann verschiedenste organische Sounds erstellen, von denen einige fast nicht nachgemacht werden können, wenn man nicht genau weiß, wie man den Synthesizer benutzt. Der PULSAR-23 ist ein sehr unkomplizierter Synthesizer, der instrumentale Kompositionen hinzufügen kann.
Wenn ein würdiger Meister der Musik all das verwendet, kann er – durch den Einsatz von Effekten wie Sidechaining oder Ducking – in einem musikalischen Arrangement aus wilden Klängen Transparenz und Harmonie schaffen. Sidechaining und Ducking sind Methoden, die eine Art Domino-Effekt verwenden – sie erzeugen Audiosignale, die mit anderen Audiosignalen interagieren und so Töne erzeugen, die emotionale Reaktionen hervorrufen können, wie die Ausschüttung von Dopamin beim Menschen. Oder besser: Um Glückshormone freizusetzen.
Mit unserer emotionalen Herangehensweise, wenn es um die Musik in unserem Spiel geht, ist die Aufgabe jetzt, diese emotionale Verbindung der Spieler weiter zu verstärken. An erster Stelle musste die Audio-Engine flexibel sein. In intensiven Kämpfen muss der Sound „eskalieren“, um den aufregenden Moment auf dem Bildschirm zu unterstreichen. Außerdem haben wir „Mikro-Rhythmen“ erstellt. Da Klarheit und Simplizität unsere minimalistische Herangehensweise zur Musik dominiert, hatten wir genug Spielraum, diese einzuarbeiten – und die machen wirklich den Unterschied, da sie die Fehler des Spielers unterstreichen oder den siegreichen Moment weiter betonen.
Die Hunter selbst – wie Darth Vader in Star Wars – sollten natürlich auch ihre eigene Audio-Identität erhalten. Sprachausgaben wurden von Originalsprechern aufgenommen und wiederholt neu aufgenommen, damit das menschliche Element im Spiel ist. Die Persönlichkeit eines Hunters.
„Ein Maler malt seine Bilder auf der Leinwand. Musiker malen ihre Bilder auf der Stille“ - Leopold Stokowski
Bevor ein Hunter seine ersten Wörter im Kampf spricht, gibt es ihn schon eine Weile – in Zeichnungen, in Geschichten oder sogar als Modell in der Spielengine. Der Hunter hat wahrscheinlich schon einen Namen, Fähigkeiten und eine klare Definition, wie er in die Welt passt. Aber noch keine Stimme.
Während das Spiel immer lebendiger wird, werden auch die Hunter zu einem Teil der SH-Familie – so ist es nur sinnvoll, dass jeder im Team Voice-Lines vorschlagen kann. Wenn die Schreibarbeit abgeschlossen ist, wählen wir unsere Sprecher aus einem breiten Portfolio verschiedener Agenturen aus. Während der Aufnahme werden alle Voice-Lines gewöhnlich mehrere Male aufgenommen. Die Sprecher müssen verschiedene Teile, Wörter oder Töne des Textes betonen, damit wir verschiedene Möglichkeiten haben. Das Team von Steel Hunters leitet diese Aufnahmen, damit sich das Projekt so entwickelt, wie wir es uns vorstellen.
Wenn ihr das Spiel startet, hört ihr zuerst das Lobby-Lied. Wenn ihr genau zuhört, werdet ihr erkennen, dass sich dieses Lied zu einem dynamischen Remix verändert, wenn ihr in der Matchmaking-Phase seid. Die Idee dahinter: Der Spieler soll sich mit entspannten Klängen auf das Spiel vorbereiten, dann aber auf dem Weg ins eigentliche Spiel auf die Action vorbereiten. Dieses kleine Detail gibt euch hoffentlich einen kleinen Einblick, wie viel Arbeit wir in jeden Teil des Spiels stecken und wie wichtig es uns ist, das Spiel so perfekt wie möglich zu gestalten.
Später, wenn die Kämpfe richtig losgehen, geht auch die Musik richtig los. Je intensiver die Kämpfe sind, desto intensiver ist auch die Musik. Das ist klar. Aber im Spiel passiert noch mehr – hört euch das hier mal an, wenn ihr das nächste Mal das SH spielt:
Wie ihr wisst, hat jede Karte in Steel Hunters besondere Sehenswürdigkeiten. Dazu gehören zum Beispiel Dinoland oder der Raketenstartplatz.
Wir haben für jede Umgebung eine angepasste Geräuschkulisse entwickelt und dabei Geländeveränderungen, Positionen, Höhen und andere Faktoren, die Klangdynamik beeinflussen könnten, berücksichtigt.
Außerdem, und das ist für den Realismus das Wichtigste, haben wir ein komplexes Schallausbreitungssystem eingebaut, das die Verzögerung höherer Entfernungen berücksichtigt.
Das haben wir natürlich nicht genauso wie in der echten Welt ausgelegt: Schall bewegt sich viel langsamer als das Licht, bei ungefähr 343 m/s. Das bedeutet, dass ein Schuss von Heartbreaker auf 1 km Entfernung erst 3 Sekunden später am Einschlagsort zu hören wäre. Was in der echten Welt passiert, kann in einem Videospiel seltsam sein. Den Spagat zwischen Realismus und Spielspaß zu schaffen, die kleinen Anpassungen, damit sich alles realistisch anfühlt und anhört, es aber immer noch Spaß macht und es einfach ist, loszuspielen – das ist unser Ziel.
Wie bereits erwähnt verwenden wir Snyths und andere ungewöhnliche Methoden, um die noch unbekannten Töne der Zukunft zu finden. Die vorher angesprochenen Aufnahmen mit Kontaktmikrofonen im Luftschacht fanden statt, als wir nach Klängen für unsere neue Karte, „Überflutete Stadt“, forschten. Einige dieser Geräusche wurden auf dem offiziellen Soundtrack integriert. Wir haben eine umfangreiche Roadmap, die alle Audiofacetten beinhaltet, um Steel Hunters eine zusätzliche Schicht und Tiefe zu verleihen. Der Anfang ist die Implementation von Dolby Atmos für eine wirklich immersive Audioerfahrung und wir integrieren auch einen Rückhall, um den Realismus der Umgebung zu verbessern. Mit diesen Systemen können wir den Klang weiter verfeinern – so wie Bilder in der Nachbearbeitung mit Filtern und anderer Farbgebung usw. perfektioniert werden – und uns näher zum Nachhall der realen Welt bringen.
Bei weiteren Experimenten mit modularen Synthesizern können wir die Grenzen neu entdeckter Sounds weiter versetzen und den Klang weiter verfeinern.
Doch nun schließen wir den Kreis und beenden diesen Artikel mit einer Aussage vom Anfang. Was futuristisch klingt, hat oft mit der Zeit zu tun, in der wir gerade leben. Im Jahr 1919 war es das extrem komplizierte, technische, oder Dinge, die die Harmonie zerstörten. Heute ist es das minimalistische Gegenteil.
Die 20er Jahre gaben uns das berüchtigte Theremin, die Revolution der 60er waren Synthesizer, die 80er brachten den ersten digitalen Sound – wenn man diese Dinge heutzutage sieht oder hört, denkt man sofort: „Ja, das sind die 20er, 60er, 80er.“
Das bedeutet, dass wir uns immer weiter darum kümmern müssen, neuen Sound zu finden, um immer einen Schritt voraus zu sein – auch wenn das Spiel schon veröffentlicht ist.
Klänge können emotionale Reaktionen hervorrufen – Gefühle der Freude – die uns an ein Lieblingsspiel vor vielen Jahren erinnern können. Letztens bin ich mit einem Freund nachts durch die Stadt gelaufen, jetzt mit 35 Jahren. Wir haben uns über Videospiele unserer Kindheit unterhalten. Irgendwann sagte er: „Ich hatte dieses eine Spiel, da war ich 16. Wir würden zu einem Kumpel gehen und dort den ganzen Tag, den ganzen Sommer lang spielen. Das waren tolle Zeiten! In meinem Kopf ist vor allem der unglaubliche 8-Bit-Soundtrack geblieben. Wenn ich so etwas höre, muss ich immer an die Kindheit denken und lächeln. Dann fühle ich mich rundum wohl und glücklich.“
Ja. Genau das ist unser Ziel.